Masche für Masche

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# Andacht

Masche für Masche

Vor einiger Zeit besuchte ich eine Fortbildung. Wir trafen uns wochenweise in immer gleicher Runde, lernten und aßen gemeinsam, saßen abends gemütlich beisammen. Es wurde Billard gespielt, erzählt, gelacht, getanzt und – gestrickt. Das war eine bemerkenswerte Sache mit dem Stricken. In der ersten Woche brachte eine Kollegin ihr Strickzeug mit, hatte bunte Socken auf ihren Nadeln. Wie von selbst bildete sich der Strumpf, während sie sich angeregt unterhielt.

Dann die nächste Woche, eine weitere Kollegin brachte Nadeln und Wollknäuel mit, ein Pullover nahm Form an. Ich habe noch Wolle zu Hause, die bringe ich nächstes Mal mit, sagte die Nächste, in Woche drei begann ein Schal zu wachsen und ein weiteres Paar Socken machte sich auf den Weg. Darf ich das mal probieren, fragte ein anderer, meine Mutter hat mir früher Pullover gestrickt. Gesagt getan, der nächste kam dazu…

Mit dem Stricken ist es ein bisschen wie mit dem Leben, fällt mir auf. Man strickt und strickt, Masche für Masche geht das Leben ein Stück weiter. Die eine strickt schnell und wie nebenbei, ganz automatisch fügt sich der Faden zu einem Muster. Der nächste hat sichtlich Mühe. Konzentriert und etwas ungelenk wandert Masche für Masche auf die nächste Nadel. Man spürt, wie viel Kraft es kostet, den Lebensfaden jeden Tag neu aufzunehmen.

Manche Stücke sind mit kompliziertem Muster versehen, andere wirken schlicht. Mal entsteht ein buntes Maschenwerk, die Farben selbst gewählt und sorgsam aufeinander abgestimmt. An anderer Stelle ist es eher trist. Auch die Qualität des Fadens wechselt, weich und kuschlig oder robust und etwas kratzig.

Es kommt vor, dass der Faden reißt oder eine Masche fällt – Löcher entstehen oder ein Knoten muss Abgerissenes verbinden. Manchmal möchte man es in die Ecke werfen. In der Rückschau erkennt man Löcher und unvollständige Muster, so wie wir auch im Rückblick auf unser Leben diese Narben und Knoten erkennen vielleicht aber auch einen roten Faden.

Wir wissen nicht, wie viel Lebensfaden wir noch zu verstricken haben. Doch haben wir die Nadeln selbst in der Hand, können Farbe und Muster wechseln und entscheiden, ob wir allein oder in Gemeinschaft unterwegs sind.

Was wir im Leben nicht können, ist aufribbeln, nicht einmal ein winziges Stück. Aber wie auch immer es geworden ist, das Strickmuster unseres Lebens, in Gottes Augen, unter seinem liebevollen Blick ist es einmalig und kostbar. In der Losung der Herrenhuter Brüdergemeinde heißt es heute: „Wenn jemand zu Christus gehört, gehört er schon zur neuen Schöpfung. Das Alte ist vergangen, etwas Neues ist entstanden!“ (2.Korinther 5,17).

Zuerst erschienen im Westfalen-Blatt, 15. März 2025

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