Ausrufezeichen stehen eigentlich am Ende, aber nicht bei dieser „Musik zur Weihnacht“: Ein Best-Of der Weihnachtszeit hatten Kreiskantor József Opicz und der Freundeskreis Kirchenmusik an der Auferstehungskirche versprochen und mit Bach, Händel und Vivaldi am Abend vor dem vierten Advent auch von Anfang an geliefert. Mit sprichwörtlichen und tatsächlichen Pauken und Trompeten legten die Kantorei und das Orchester Opus 7 mit Bachs Weihnachtsoratorium los und zogen das Publikum in der vollbesetzten Auferstehungskirche sofort in ihren Bann.
Kreiskantor József Opicz hatte auch das zweite Stück des Abends, Händels „Messiah“-Oratorium, thematisch bewusst ausgesucht. Nicht die opernhafte Dramatik des zweiten Teils, sondern die stilleren, hoffnungsvollen Stücke der Weihnachtsgeschichte im ersten Teils knüpften, trotz des Wechsels vom deutschem Kirchenbarock zu englischer, von italienischen Operntraditionen inspirierter Bühnenmusik, an Bachs Thema an.
Der nicht nur mit voller Kraft, sondern auch mit erkennbarer Singfreude angetretene Chor der Kantorei glänzte auch hier wieder. Fast akrobatisch wurde es beim „For unto us a child is born“: Händel spielt mit dem Publikum und lässt die Weihnachtsbotschaft von Stimme zu Stimme im Chor springen. Von der Kantorei perfekt inszeniert, folgte die Aufmerksamkeit des Publikums den Stimmen von links nach rechts, oben nach unten, begleitet von flirrenden Koloraturen der Streicher.
Der erste Soloauftritt des Abends ging an Simon Jass: Der in Bad Oeynhausen oft gehörte Tenor brillierte in den manchmal undankbaren Rezitativen, die es anderen Solisten schwer machen, ihre stimmlichen PS auf die Straße zu bringen. Nicht so für den 35-jährigen Tenor, der mit perfekter Diktion und seiner charakteristisch warmen Stimme durch diese erzählerischen Teile leitete.
An seiner Seite saß ein besonderer Gast des Abends: Hinrich Horn. Der in Löhne aufgewachsene Bariton kehrte für die „Musik zur Weihnacht“ aus dem Ensemble der Dresdner Staatsoperette zurück nach Ostwestfalen. In seinen Stücken zeigte sich dann auch die Bühnenerfahrung: Nicht allein mit seinem charakterstarken Bariton, sondern mit dramaturgischen Instinkt, Mimik und Gestik und vereinzelten Anflügen von Operndiktion gab er besonders Händels Oratorium, das selbst seine Wurzeln in der Londoner Opernszene des frühen 18. Jahrhunderts hat, eine passend schauspielerische Note.
Doch eigentlich gaben Bachs Weihnachtsoratorium und Händels „Messiah“ besonders Anna Padalko eine Bühne. Anfangs etwas verhalten, brachte die seit dieser Saison im SWR Vokalensemble singende Mezzosopranistin und Altistin ihr lyrisches Gefühl ins Spiel und gab der von den beiden Barockgiganten vertonten Weihnachtsgeschichte Wärme und Menschlichkeit. Nur wenige Einsätze ließen Bach und Händel für Irina Trutneva, aber die Sopranistin nutzte ihre Momente voll aus. Besonders in der berühmten Arie „Rejoice greatly, oh daughter of Zion“ zeigte die Sopranistin ihre stimmliche Spannbreite und Ausdauer in den Marathon-Koloraturen, präzise und charakterstark vom Orchester aufgenommen, ohne die Solistin zu übertönen.
Die Musiker von Opus 7 spielten, trotz ihrer, so in Händels Pastorale „Pifa“ gezeigten technischen Finesse, mit Respekt und Zurückhaltung vor den Sängerinnen und Sängern. Besonders die tiefen Streicher und Holzbläser zusammen mit Līga Auguste-Meier am Orgelpositiv bauten ein starkes Fundament für den Gesang auf; die Streicher spielten im Dialog mit Chor und Solisten, und die Blechbläser sorgten für die musikalische Zeichensetzung.
Schon die ersten Takte von Vivaldis abschließendem Gloria, mit seinen triumphierenden Streichern und Bläsern im Wechsel, sind wohl weltweit bekannt und lassen es unglaublich erscheinen, dass das Werk über Jahrhunderte vergessen war. Wie schon beim Wechsel von Bach zu Händel veränderten sich Klangfarbe und Charakter der Musik. Anna Padalko brachte zusammen mit Irina Trutneva ihren Mezzosopran zur Wirkung, und alle vier Solisten konnten gemeinsam ihre Stimmen ausspielen, doch ist Vivaldis Gloria mit seinem liturgischen Hintergrund kein Stück für Einzelkämpfer, sondern ein Gemeinschaftswerk für Solisten, Chor und Orchester. Und so gelang Kreiskantor József Opicz auch im dritten Werk des Abends der Spagat, selbstbewusst und technisch brilliant singend und spielend, aber harmonisch und uneigennützig die Botschaft der Musik wirken lassend.
Fast nahtlos ging es vom Finale des Gloria in die Standing Ovations des Publikums über, mit besonderem Applaus für die Blechbläser und die mit Akkuratesse eingesetzte Kesselpauke, und natürlich für die Solisten und den sichtlich von der Leistung seiner Mitwirkenden begeisterten József Opicz. „Wir haben noch etwas“, rief der Kreiskantor über den Applaus hinweg: Mit Händels weltberühmten „Halleluja“ wurde das Publikum in die Weihnachtstage entlassen.